Mit einem skandalösen Urteil hat das OVG NRW am 30. August 2016 festgestellt, dass Tagespflegepersonen für die Leistung der Betreuung, Erziehung und Förderung von Kindern keinen Anspruch auf eine
angemessene Vergütung bzw. eine angemessene und auskömmliche Vergütung im Sinne eines den lebensunterhalt sicherstellenden Einkommens haben (Rn. 52, 83). Der Anerkennungsbetrag für
Tagespflegepersonen müsse sich lediglich an dem Pflegegeld von Pflegeeltern, die ein Kind Vollzeit in ihre Familie aufnehmen, orientieren (Bundestagsdrucksache aus 2004! also vor dem
Kinderförderungsgesetz, Rn. 50). Die Kindertagespflegeperonen hätten sich seit 2008 (Inkrafttreten des Kinderförderungsgesetzes auch nicht nachhaltig und nachweisbar qualifiziert, dass sich die
Feststellung erlaube, nunmehr gelte mit Blick auf die Qualifikation der Maßstab der angemessenen Vergütung (Rn. 52). Auch der Mindestlohn gelte nicht für die Kindertagespflegepersonen, da sie
nicht angestellt seien (Rn. 89). Im übrigen wird beim Vergleich mit dem Mindestlohn wirklichkeitsfern nur auf die direkten Betreuungsleistungen am Kind und nicht auf die indirekten
Betreuungsleistungen (Vor- und Nachbereitung, Verwaltung, Elterngespräche usw.) abgestelllt.
Mit keinem Wort prüft das OVG NRW die Verfassungrechte der Kindertagespflegepersonen! Dabei gab es schon im Jahr 2000 eine klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter welchen Umständen
zu geringe Vergütungen die Berufsfreiheit verletzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. März 2000
zur Vergütung von Betreuern festgestellt, dass auch Vergütungsregelungen in die Berufsfreiheit eingreifen können. BVerfG Beschluss vom 16. März 2000, 1 BvR 2005/99 (Rn. 21). Der Eingriff ist nur
dann mit Art. 12 GG vereinbar, wenn er durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit wahrt. Gründe des Gemeinwohls können die
Rechtssicherheit, die Kalkulierbarkeit der Einnahmen, die Entlastung der Gerichte, die Begrenzung der Staatsausgaben sein (Rn. 23). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist jedenfalls dann verletzt,
wenn die Einkünfte unzumutbar sind (Rn. 30). Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Kindertagespflegepersoen ist nicht gerechtfertigt! Der Eingriff ist vielmehr unverhältnismäßig, da er zu
unzumutbaren Vergütungen führt. Der Anerkennungsbetrag für die Förderleistung entspricht bei Berücksichtigung der indirekten Betreuungszeiten, wie Vor- und Nachbereitung und administrativen
Aufgaben nicht einmal dem Mindestlohn
Das OVG NRW stellt in seiner Entscheidung nur fest, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet seien, eine Bewertung der (Förder-) leistung vorzunehmen, allerdings sei es schwierig
eine finanzielle Bewertung der Leistung der Kindertagespflege vorzunehmen, da es keinen Marktpreis gebe angesichts der inzwischen überwiegend öffentlichen Finanzierung der Kindertagespflege.
Daher könne allein auf die Bezahlung von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen in Kindertageseinrichtungen zurückgegriffen werden (Rn. 66) Das gelte schon wegen der Gleichwertigkeit der Förderung
der Kinder in Kindertagespflege und Kindertageseinrichtungen (§ 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Satz 3 SGB VIII). Dabei könne allerdings ein deutlicher Abstand zum Gehalt einer Erzieherinnen
und Kinderpflegerin gelten.
Wichtig ist an dieser Stelle, dass das OVG NRW immerhin grundsätzlich die Zahlung einer laufenden Geldleistung für organisatorische und verwaltende Tätigkeiten als zulässig ansieht und den
Wortlaut des § 23 Abs. 2 SGB VIII weit interpretiert. Zwar betreffe der Anerkennungsbetrag in erster Linie die kindbezogenene Leistung der Tagespflegeperson. Allerdings könne die Förderleistung
in einem deutlich weitergehenden Sinne interpretiert werden, als ihr darüber hinausgehende (organisatorische,verwaltende) Tätigkeiten quasi zugerechnet werden, weil ohne diese weiteren
Tätigkeiten die Förderleistung (im engeren Sinne) in der Tagespflege nicht erbracht werden könne (Rn. 72). Überraschend ist dann aber die unbegründete Feststellung des Oberverwaltungsgerichts,
dass die Bezahlung der gesamten Tätigkeit im alleinigen Beurteilungsspielraum des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe liege und die organisatorischen Tätigkeiten auch unberücksichtigt bleiben
könnten und auch die Unterschiede in den Qualifikationen der Kindertagespflegepersonen nicht berücksichtigt werden müssten. Überraschend dann auch die knappe und unbegründete Feststellung, dass
organisatorische und verwaltende Tätigkeiten den Sachkosten zugerechnet werden könnten (Rn. 88)
Falsch ist auch die Behauptung, dass von einer Vollauslastung der tagespflegeperson ausgegangen werden müsse, soweit der Anerkennungsbetrag für die Förderleistung der Kindertagespflegeperson mit
dem Gehalt einer Erzieherin verglichen werde. Denn das OVG NRW verkennt die Systematik des SGB VIII bezüglich der Finanzierung der Kinderbetreuung. Unberücksichtigt läßt das OVG NRW, dass zum
Beginn eines Kindergartenjahres und auch während eines Kindergartenjahres weder in der Kindertagesstätte noch in der Kindertagesstätte eine 100 prozentige Auslastung der Kapazitäten vorliegt.
Während der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen des Defizitausgleichs auch Überkapazitäten der Kindertagesstätten finanziell ausgleicht, wird das finanzielle Risiko der freien
Kapaziäten auf den Tagespflegepersonen aufgelastet (Rn. 84). Diesen Zusammenhang übersieht das OVG NRW. Das gleiche gilt für die erleichterten Kündigungsrechte in der Kindertagespflege innerhalb
des Kitajahres, die eine besonderes finanzielles Risiko für die Kindertagespflegepersonen darstellen. Der Vergleich mit einer Erzieherin in der Kindertagesstätte hinkt daher, wenn nicht das
gesamten System der Finanzierung der Kinderbetreuung in Augenschein genommen wird.
Verfassungswidrig dürfte auch die Beurteilung des Zuzahlungsverbotes durch das OVG NRW sein. In der Entscheidung hätl es dass Zuzahlungsverbot schon deshalb für rechtmäßig, weil es ja einen
Anerkennungsbetrag gebe (Rn.90). Ein Zirkelschluß, der sich in keiner Weise mit dem Recht auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG auseinandersetzt.
Das Urteil des OVG NRW vom 30. August 2016 liegt nun dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. Es ist zu hoffen, dass das Bundesverwaltungsgericht zugunsten einer angemessenen
Geldleistung für Kindertagespflegepersonen entscheidet. Gleichzeitig ist die Politik gefordert. Es kann nicht zugelassen werden, dass Kindertagespflegepersonen keinen Anspruch auf einen
Mindestlohn für alle geleisteten Stunden, direkte und indirekte Betreuungsstunden haben. "Kindertagespflege ist kein Hobby"